auszug aus dem katalogtext zur ausstellung: wien - tallinn

Prof. Dr.Dr. Konrad Oberhuber
Ehm. Direktor der Albertina, Wien

„Wolfram Weh zeigt in seinen Skulpturen eine große Vielfalt von Umgangsformen mit plastischen Problemen. In manchen geht es ihm um Flächen, die sich im Raum drehen, bewegen und ihre verschiedenen Seiten und Bewegungsformen zeigen. Das Licht spielt über sie und bringt sie zum Leben. In anderen Werken arbeitet er mit kompakten Formen, die eckig oder rund sein können und dadurch eine spezifische Gestalt erhalten. In wieder anderen Skulpturen behandelt er das Problem der Scheibe, die in sich ruht aber innerhalb ihres Umrisses feinst differenziert wird und so mehr ausstrahlend oder offen oder mehr abgeschlossen, kompakt oder durchbrochen wirken kann und so jeweils einen anderen Ausdruck hat. Die Formen können mehr organisch, oder aber sich einer starken geometrischen Gestalt annähern. So ist diese Werkgruppe eine Einführung in die Vielfalt dessen, was durch Skulptur erreicht werden kann. Durch alles geht ein Sinn für Schönheit und Harmonie. So wird bei Wolfram Weh ein positives Streben nach einem tieferen Verständnis der Natur und der Weltgesetze in künstlerischer Weise sichtbar.“


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wolfram weh und seine kunst

Dr. phil. Eugen - Maria Schulak

Achtsam, bedächtig, in innerer Ruhe bearbeitet er Steine, die sich in seinen Händen in leichtes, atmendes Gebilde verwandeln. Aus Ton modelliert er doppelt gebogene Flächen, anmutig schlanke wie weiche liebevolle Formen, die, so sie den idealen Spannungs- und Schwerpunkt gefunden, in Erz gegossen und verewigt werden. An anderen Tagen bestreut er hauchdünnes klebriges Vlies, das er zu Reliefen zerknittert, mit federleicht schimmernden Pigmenten, die zu der Schwere und Erdkernnähe des Steins, des Tons, des Erzes einen erstaunlichen Widerpart bilden. Durchflochten wird diese stille Arbeit von einer aufmerksamen Pädagogik, die Schüler, Studenten und junge Kunsterzieher um ihn versammelt. Denn Kunst, so Weh, spiele auch im Sozialen eine Rolle.

An seinem Arbeitsplatz, im Atelier, befand sich Weh von Anfang an. Bereits als Kleinkind kroch er auf allen Vieren über die mit bunten Krusten verzierten Holzböden seiner Mutter und konnte beobachten, wie die Künstlerin Gegenstände einsiebte oder so lange in Wachs eintauchte, bis große Zapfen daraus entstanden. Die künstlerische Arbeit war Weh demnach von Kindesbeinen an vor Augen; er wurde früh mir ihr bekannt und wohl auch rasch mit ihr vertraut.

Später dann, nach dem Schulabschluss, lernte Weh ein Handwerk, ging in die Lehre bei den Steinbildhauern von Kottenheim (bei Koblenz am Rhein), wo er sich dem archaischen Milieu einer Jahrhunderte alten Steinmetzgilde stellte. Die ersten Monate seiner Lehrzeit brachte er damit zu, Bogensteine, Gesimse und Maßwerke herzustellen, die zur Restauration von Kirchen verwendet wurden. Seine Lehrlingskollegen, die ihn bei seinem Tun begleiteten, kamen alle aus der Region und hatten große Truhen von ihren Großvätern bei sich, die sie eifersüchtig bewachten und die altes, kostbares Steinmetzwerkzeug enthielten. Diese Truhen blieben gleich ihren Besitzern für Weh verschlossen. Doch wollte er ohnehin nicht bleiben und sich als Steinmetz in der Region verdingen. Es ging ihm vielmehr um die Grunderfahrung mit dem Material.

Nach seiner Lehre und nach seinem Zivildienst in der Jugendpsychiatrie ging Weh nach Wien, an die damals neu gegründete Goetheanische Studienstätte, um Bildhauerei und Malerei zu studieren. Angeregt wurde dieser Ortswechsel durch seinen ehemaligen Kunstlehrer aus der Schulzeit, Wilhelm Reichert, der diese Studienstätte auch begründete. Reichert, der eine von der Naturphilosophie Goethes inspirierte Farben- und Metamorphosenlehre entwickelte und mit der Anthroposophie Rudolf Steines verbunden war, hielt Weh bereits in jugendlichem Alter dazu an, organischen Prozessen größte Aufmerksamkeit zu schenken. Die verschiedenen Stadien des Vegetativen, vom Keim bis zur ausgereiften, fruchtenden Pflanze, hatte er bereits als Schüler eingehend zu beobachten und zeichnerisch festzuhalten. Dabei erkannte er, wie jedes Stadium des Wachstums und der Reife, wie jede Form des Lebendigen über eigene Farben und Empfindungen verfügt, wie sich alles Organische, so auch Tier und Mensch, bewegt und wandelt und dabei in stets andere und doch wieder ähnliche Zustände gerät. Inspiriert von Reicherts Theorien versuchte Weh so in die Bauprinzipien der Natur einzudringen, gleichsam mit dem Organischen zu verschmelzen, um das Wesentliche des Lebendigen zu erleben, zu erkennen und darzustellen. Er sensibilisierte sich für Formen, Farben aller Art sowie für die dazu gehörigen Empfindungen und Erlebnisse und legte sich so ein Instrumentarium für sein späteres Schaffen zurecht.

Wehs Weg wurde bereits früh daraufhin angelegt, an Hand der Bauprinzipien des Organischen zu künstlerischen Ausdrucksformen zu gelangen. Im Vordergrund stand dabei aber weder eine intuitive Nachbildung jener Prinzipien noch deren Abstraktion. Viel eher glich seine Suche einer Art Versenkung und Hingabe, was der zeitgenössischen Tendenz zum totalen Individualismus diametral entgegengesetzt war. Ohne Zweifel, so Weh, sei der Mensch dazu da, die Welt zu verändern, zu kultivieren und dadurch weiter zu entwickeln. Doch sollten im Zuge dieser Entwicklungsarbeit die individuellen Vorlieben und Probleme nicht zum alleinigen Maßstab werden.

Dieses Denken brachte Weh auf Distanz zu vielen Vertretern der zeitgenössischen Moderne, auf einen Sonderweg, was aber nicht bedeutete, dass er sich bloß mit Tradition und Konvention zufrieden gab. Seine Kunst griff ebenso in die Zukunft, schöpfte ebenso aus dem Unbewussten, aus einer Art Ur-Schöpfungszustand heraus. Weh hatte auch stets Verständnis für eine Kunst, die aufbegehrte, provozierte, alles Bürgerliche zerschlagen wollte. Diese Kunst habe ihre Berechtigung gehabt, sei durchaus notwendig gewesen. Doch sie habe sich heute totgelaufen, müsse nicht weiter wiederholt werden, habe keine unmittelbare Notwendigkeit mehr.

Einen aufklärerischen Anspruch hat seine Arbeit jedoch allemal. Still und bar jeder Polemik reagiert sie kritisch auf die extreme Hektik und audiovisuelle Fixierung der zeitgenössischen Kultur, die den Menschen von der Natur entfremdet hat. In der Konfrontation mit den Bauprinzipien des Organischen knüpft sie an die Schöpfung wieder an, was auf das Auge und den Tastsinn eine angenehme und für den Geist eine erhellende wie heilende Wirkung hat.

Gerade heute, so Weh, sollten Kunststudenten auch darauf aus sein, die Sprache der Natur in all ihren Feinheiten und Dialekten zu erlernen. Sie sollten wahrnehmen können, wie sich alles Widerstrebende vereinigt und aus den entgegengesetzten Tönen die schönste Harmonie entsteht. Kaltes wird warm, Warmes kühlt ab, Feuchtes trocknet, Trockenes wird feucht, schreibt Herakleitos von Milet. Ohne hohe und tiefe Töne gibt es keine Harmonie, und kein Lebewesen ohne das Dasein männlicher und weiblicher Prinzipien. Die Menschen begreifen nicht, so Herakleitos, dass es, auseinanderstrebend, mit sich selber übereinstimmt: widerstrebende Harmonie wie bei Bogen und Leier. Daher habe man sich dem Allgemeinen anzuschließen, das heißt dem Gemeinschaftlichen, denn nur der gemeinschaftliche Logos ist allgemein. Ungeachtet der Tatsache aber, dass die Auslegung eine allgemeine ist, leben die Menschen, als ob sie über eine private Einsicht verfügten.

Wehs künstlerischer Weg das Allgemeine darzustellen lag bereits früh vorwiegend in der Plastik. Dabei knüpfte er an der Moderne, an Künstlern wie Wassily Kandinsky und Henry Moore an, die beide künstlerische Forscher waren, Wissenschaft und Kunst, Objektivität und Unbewusstes in ihrer Arbeit zu verbinden suchten. Und auch Weh ging es stets darum, universale Gesetze – in seinem Fall solche, die dem Organischen eignen – plastisch zu formulieren. Er versuchte die Schöpfung nachzuempfinden, auch indem er, wie Kandinsky, etwa nach der reinen Qualität des Rot, nach dem Wesen des Blau oder nach der konvexen Form schlechthin fragte. Wie Kandinsky geriet so auch Weh im Zuge seines Weges zu der Meinung, Kunst sollte nicht nur als Ausdruck verstanden werden, sondern ein taugliches Instrumentarium entwickeln. Denn unterschiedliche Formen haben unterschiedliche Aussagen, die es zu erkennen gelte, damit sie wie die Tastatur eines Klaviers benutzbar seien. Letztlich glich diese Suche der philosophischen Frage nach der Wahrheit. Es war ein Versuch, ein Instrumentarium zu schaffen, um an die Wahrheit heranzukommen.

Kunst, schreibt Martin Heidegger, ist das Ins-Werk-Setzen der Wahrheit – und solcherart Dichtung. Wahrheit, als die Lichtung und Verbergung des Seienden geschieht, indem sie gedichtet wird. Dichtung aber, so Heidegger, ist kein schweifendes Ersinnen des Beliebigen und keine Verschweben des bloßen Vorstellens und Einbildens in das Unwirkliche. Was die Dichtung als lichtender Entwurf an Unverborgenheit auseinanderfaltet, ist das Offene, das sie geschehen lässt und zwar dergestalt, dass jetzt das Offene erst inmitten des Seienden dieses zum Leuchten und Klingen bringt. Muss denn nicht das Werk seinerseits, und zwar vor seinem Geschaffenwerden und für dieses in einen Bezug zu den Dingen der Erde, zur Natur gebracht sein? Gilt denn nicht, fragt Heidegger weiter, jenes bekannte Wort Albrecht Dürers „Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie“? Stößt denn nicht das Ins-Werk-Setzen der Wahrheit das Ungeheure auf und zugleich das Geheure und das, was man dafür hält, um?

Und was ist die Wahrheit im Plastischen? – Ein Aspekt dieser Wahrheit, so Weh, findet sich etwa in den Polen, das heißt in den extremen Endpunkte jeder Plastik, dem absoluten Innenraum (der dunklen Hohlkugel) und dem absoluten Außenraum (der hellen Vollkugel). Die Metamorphosen des Lebens und der Bewegung sowie die Arbeit des Künstlers liegt freilich im Dazwischen, zwischen den Polen, so wie auch der Regenbogen seine Farben zwischen Licht und Finsternis zur Geltung bringt. Zusätzlich gelte die Wahrheit, dass wenn man sich dem einen oder anderen Extrem bzw. Pol nähere, in Gefahr gerate, den jeweils anderen aus den Augen zu verlieren, was den Verlust der Orientierung, des Gleichgewichts und somit Gefahr bedeute.

Neben dem Studium organischer Formen wandte Weh sich aber auch stets den Farben zu. Aquarelliert hatte er ohnehin immer nebenbei, vor allem Landschaften, als eine Form der Beobachtung und auch statt dem Photographieren auf Reisen. Sukzessive begann er diese Beobachtungen immer mehr zu abstrahieren, aus Interesse an der Farbe an sich, an der Farbe als Erscheinung und als Medium der Malerei – im Unterschied zur Form als Medium der Plastik. Denn Farbe und Form seien nicht allein Mittel zur Illustration, um die gegenständliche Welt abzubilden, sondern hätten auch ein Eigenleben voll innerer Kraft und innerem Klang. Demnach gelte es, die Farbe von der Schwere der Dinge zu befreien, damit sie sich selbst gestaltet und in dieser Gestaltung die Ahnung einer höheren Welt aussprechen kann.

Nach der Jahrtausendwende wandte sich Weh dann intensiver der Malerei zu, auch deshalb, weil er in diesem Metier, im Unterschied zur Plastik, schneller arbeiten und auch spontaner sein konnte. Er betrieb die Malerei jedoch nicht in einem herkömmlichen Sinn. Sein Forschergeist richtete sich vor allem auf das Material der Malerei selbst. Er fragte nach der Farbe in ihrem Urzustand, nach ihrer Substanz, speziellen Qualität und Ausstrahlung. So gelangte er an das reine Pigment, an ein Pulver, das, will es zur herkömmlichen Farbe und mit dem Pinsel aufgetragen werden, mit einem Bindemittel, einer Flüssigkeit, mit etwas Feuchtem in Verbindung gebracht werden muss. Diese Art der Vermischung wollte Weh aber vermeiden, da durch den Gebrauch des Pinsels sich die Farbqualität verändert. Sein Anspruch war, das reine Pigment, das physische Bild der Farbe, möglichst unvermischt zu erhalten. Anfänglich streute er demnach – mit Sicherheit nicht ohne an seine frühen Beobachtungen im Atelier seiner Mutter zu denken – mit dem Sieb Pigmente in die Luft und beleuchtete dieses atomare Spiel mit dem Scheinwerfer. Er versuchte sogar unterschiedliche Pigmente in der Luft miteinander zu vermischen, konnte derart flüchtige Erscheinungen aber freilich nicht festhalten. So schuf er in der Folge Bildobjekte, die zwar immer noch fragil, doch weitaus stabiler waren. Er bestreute mit Bindemittel klebrig gemachtes und hauchdünnes Seidenkokon oder Transparentpapier mit Pigmenten, die auf diesen Untergründen dann teilweise haften blieben und teilweise zu Boden rieselten.

Indem er die Masse des Untergrunds auf ein Minimum brachte, konnte er sein Ziel, nämlich das Pigment als reine Substanz zu erhalten, erreichen. Zusätzlich wurden die Bildobjekte zur Präsentation mit Hilfe von Magneten schwebend aufgehängt, um deren leichte Empfindung nicht zu zerstören. In der Folge wurden unterschiedliche Pigmente in Schichten aufgestreut. Zufällig bildeten sich in dem hauchdünnen Untergrund dann und wann auch Falten, die zugelassen und weiterentwickelt wurden. Schließlich begann Weh die zarten Untergründe bewusst zu Reliefs zu zerknittern und gemeinsam mit den Pigmenten zu gestalten. Dabei ging es ihm stets darum, das Material, das Pigment durch die Form zu befreien und ihm so etwas Schwereloses zu geben. Und in der Tat: Wehs Arbeiten haben ganz generell etwas Schwereloses an sich. Selbst Stein oder Erz versteht er in Schwebe zu halten. Dass dies wieder und immer wieder gelingen kann, dazu braucht es innere Ruhe, die Weh auch um sich zu verbreiten versteht.


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